Im Gedenken an die tragischen Ereignisse vor 81 Jahren erinnern wir an einige jüdenfeindlichen Maßnahmen in Deutschland im Jahr 1938, die Vorboten der Pogromnacht waren

26.04.1938:
Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden

Hermann Göring erlässt die „Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden“. Dernach sind alle Juden im Deutschen Reich unter Androhung von Geld-, Haft- und Zuchthausstrafen angehalten, ihr Vermögen im In- und Ausland zu melden, wenn es den Betrag von 5.000 Reichsmark übersteigt. Alf Krüger, Ministerialrat im Reichswirtschaftsministerium, nennt die Regelung den „Wegbereiter zu der völligen und endgültigen Entjudung der deutschen Wirtschaft“. Drei Tage später wird in einem Arbeitstreffen bei Göring geplant, das jüdische Vermögen so umzuwandeln, dass es “keinen wirtschaftlichen Einfluss mehr gestatte[t]“. Göring erläutert später, dass in der Besprechung im April bereits der Beschluss gefasst wurde, „die deutsche Wirtschaft zu arisieren, den Juden aus der Wirtschaft heraus und in das Schuldbuch hineinzubringen und auf die Rente zu setzen. […] Die Entschädigung wird im Schuldbuch vermerkt und zu einem bestimmten Prozentsatz verzinst. Davon hat er zu leben.“ Nach den Novemberprogromen nutzten die Nationalsozialisten die erworbenen Daten als Grundlage, um den Juden ein Viertel ihres Vermögens abzunehmen.

09.06.1938:
Zerstörung der Hauptsynagoge in München.

Die Nationalsozialisten zerstören die Hauptsynagoge im Münchner Stadtzentrum. An ihrer Stelle legen sie einen Parkplatz an. Das imposante Bauwerk in neuromanischem Stil war 1878 entstanden. Nur wenige Tage vor dem Abriss war die Israelitische Kultusgemeinde Münchens davon in Kenntnis gesetzt worden, dass sie Synagoge und Grundstück für 100.000 Reichsmark zu verkaufen habe. Die Münchner Synagoge ist eine der ersten Synagogen, die die Nationalsozialisten im Jahr 1938 zerstörten.

 

 

13.06.1938:
Massenverhaftungen und Ausbau des KZ-Buchenwalds

Vom 13.–18. Juni führen die Nationalsozialisten eine Massenverhaftung durch. Die „Juni-Aktion“ gehört zur Mission „Arbeitsscheue Reich“, die im Januar begann und im April mit 1.500 bis 2.000 Verhaftungen fortgesetzt wurde (vgl. Eintrag vom 26. Januar). Im Juni nehmen die Nationalsozialisten mehr als 9.000 Manner fest und bringen sie in Konzentrationslager. Unter den Gefangenen sind 2.300 Juden—überproportional viele, verglichen mit dem jüdischen Anteil der Gesamtbevölkerung. Hitler selbst hatte angeordnet, die Aktion im Juni zusätzlich zu den sogenannten Asozialen („Bettler, Landstreicher und Alkoholiker“) auch gegen Juden zu richten. Festgenommen werden diejenigen Juden, denen man eine Vorstrafe von mindestens vier Wochen Länge nachweisen kann. Die Nationalsozialisten deportieren die jüdischen Männer in die Konzentrationslager Dachau, Sachsenhausen und Buchenwald. Dem KZ Buchenwald kommt eine besondere Rolle zu. Ihm wird die größte Zahl an Menschen zugeteilt, die bei der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ festgenommen worden waren. Die KZ-Aufseher zwingen sie, Buchenwald zum größten KZ im Zentrum Deutschlands aufzubauen. Etwa 500 der hier inhaftierten Juden werden in einem ehemaligen Viehstall untergebracht. Sie müssen von 300 g Brot und 750 ml Wassersuppe leben. Die katastrophalen Bedingungen fordern in den kommenden acht Wochen 150 Todesopfer.

05.07.1938 – 16.07.1938:
Die Évian-Konferenz schließt ergebnislos

Bevölkerungsdichte und Arbeitslosigkeit (Grossbritannien), das Erreichen einer Obergrenze fuer die Aufnahme von Geflüchteten (Frankreich), die Belastugen durch die Weltwirtschaftskrise und die Befürchtung, dass der Antisemitismus steigt, sollten weiterhin Juden aufgenommen werden, sind die Argumente, mit denen sich die an der Évian-Konferenz (vgl. Eintrag vom 6. Juli) teilnehmenden Länder weigern, weitere von den Nationalsozialisten Vertriebenen Zuflucht zu bieten. Grossbritannien schlägt vor, eine geringe Anzahl von Vertriebenen in den von Briten besetzten Gebieten Ostafrikas unterzubringen. Die USA erklären sich bereit, Flüchtende aufzunehmen, bis die normale jährliche Quote von 27.370 Einwanderern aus Deutschland und Österreich erreicht ist. Einzig die Dominikanische Republik, das winzige Land in den Karibischen Inseln, will— gegen beträchtliche Bezahlung— zusätzliche Flüchtende aufnehmen. Die Konferenz schließt am 15. Juli, ohne eine Perspektive für die Flüchtenden entwickelt zu haben. Einzige Resultat der Zusammenkunft ist ein neues Komitee, das Comité d’Évian, das von nun an zusammen mit Deutschland die Modalitäten der deutsch-jüdischen Auswanderung regeln soll.

17.08.1938:
Juden gezwungen, neue Vornamen anzunehmen

Jüdische Deutsche mit einem Vornamen, der aus Sicht der Nationalsozialisten nicht „typisch jüdisch“ ist, werden per Verordnung gezwungen, ab 01. Januar 1939 einen zusätzlichen Vornamen anzunehmen—Männer den Namen Israel, Frauen den Namen Sara. Die Zweite Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Änderung von Familiennamen und Vornamen zielte darauf ab, Juden anhand ihrer Vornamen als Juden kenntlich zu machen. Es handelt sich um den ersten Versuch, die Juden äusserlich als solche zu kennzeichnen und dauerhaft von der übrigen deutschen Bevölkerung zu trennen. Am 24. Januar 1939 dehnen die Nationalsozialisten die Gültigkeit der Verordnung auf Österreich und die sudetendeutschen Gebiete aus.

Auf dem Pass einer jüdischen Frau ist der gesetzlich verordneten Mittelname „Sara“ deutlich sichtbar.

27.09.1938:
Berufsverbot für jüdische Rechtsanwälte

Die berufliche und finanzielle Situation für jüdische Anwälte und Juden, die in anderen rechtlichen Berufen tätig waren, verschlechtert sich zusehends. Viele von ihnen sind gezwungen, ihre Anwaltskanzleien zu schliessen, da sich ihre Klienten abwenden oder, wenn sie jüdisch sind, fliehen. Zu Beginn des Jahres 1938 arbeiteten noch rund 1750 „nichtarische“ Rechtsgelehrte in Deutschland. Am 27. September verhängen die Nazis ein Berufsverbot für alle noch praktizierenden jüdischen Anwälte. Das Verbot tritt am 30. November in Kraft, in Österreich am 31. Dezember. Von nun an sind nur noch einige wenige jüdische Rechtsanwälte aktiv. Als sogenannte Konsulenten konnten sie – ausschliesslich jüdische – Klienten beraten und vertreten.

5.10.1938:
Ausweise von Juden für ungültig erklärt

Das Reichinnenministerium erklärt alle Ausweise von Juden für ungültig. Erst der rote Aufdruck des Buchstabens „J“ mache die Pässe wieder gültig. Die Aktion ist ein weiterer Schritt im Bestreben der Nazis, die Juden dauerhaft vom Rest der Bevölkerung zu trennen.

26.10.1938:
Die „Polenaktion“

Ende Oktober weisen die Nationalsozialisten etwa 17.000 polnische Juden aus dem Deutschen Reich aus. Die als „Polenaktion“ bezeichnete Massenabschiebung markiert den bisherigen Höhepunkt der Diskriminierungen der Nazis gegenüber den Juden. Das polnische Parlament hatte im März und Oktober Gesetze erlassen, die die Pässe von im Ausland lebenden jüdischen Polen schwächten. Unter anderem sollten im Ausland ausgestellte Pässe zum 30. Oktober nicht mehr zur Einreise nach Polen befugen, sofern sie nicht einen Prüfvermerk des polnischen Konsulats trugen. Die polnische Regierung wollte so eine Masseneinwanderung von polnischen Juden aus dem Deutschen Reich nach Polen verhindern. Als die Deutsche Botschaft in Warschau davon erfuhr, veranlassten die Nazis die „Polenaktion” binnen weniger Tage.

 

09.11.1938 – 10.11.1938:
Die Novemberpogrome

In der Nacht vom 9. auf den 10. November kommt es in Deutschland, Österreich und dem Sudentenland zu gewaltsamen Übergriffen auf die dort leben den Juden. Die Pogrome sind staatlich sanktioniert. Mehr als 90 Juden werden in dieser Nacht getötet. 267 Synagogen werden in Brand gesteckt oder auf andere Weise zerstört, Geschäften, die von Juden geführt werden, werden die Fenster eingeworfen, Gemeindezentren und Privathäuser werden geplündert und zerstört. Nationalsozialistische Randalierer schänden jüdische Friedhöfe, Krankenhäuser und Schulen. Polizei und Feuerwehr schauen tatenlos zu. Die „Kristallnacht“ stellt einen doppelten Wendepunkt dar im ohnehin schon schicksalsträchtigen Jahr 1938: Die antijüdischen Diskriminierungen der Nazis kennen keine Grenzen mehr. Für viele Juden sind die November-Pogrome das letzte Warnsignal, die Flucht zu ergreifen.

15.11.1938:
Ausschluss jüdischer Kinder vom Schulbesuch

Die Nationalsozialisten verweisen jüdische Kinder der öffentlichen Schulen. Jüdische Kinder dürfen nur noch segregierte jüdische Schulen besuchen, die die jüdischen Gemeinden führen und finanzieren müssen — zu einem Zeitpunkt, zu dem jüdischen Gemeinden jegliche wirtschaftliche Grundlage bereits entzogen ist.

02.12.1938:
Die Kindertransporte

Der erste Kindertransport erreicht England. Obwohl Grossbritannien, wie fast alle anderen Länder weltweit, einen Aufnahmestopp für jüdische Flüchtlinge verhängt hatte, entschliesst sich die britische Regierung zu einem Rettungsprogramm für jüdische Kinder. Die Novemberpogrome, in denen Juden auf offener Strasse völlig schutzlos gewaltsamen Angriffen ausgeliefert waren, gaben den Anlass dazu. Die britische Regierung lockert die Einreisebestimmungen. Sie ruft britische Familien dazu auf, Pflegekinder aufzunehmen. Es dürfen nun jüdische Kinder bis zum Alter von 17 Jahren einwandern, sofern ein Förderer oder eine Pflegefamilie sie erwartet. Am zweiten Dezember trifft der erste sogenannte Kindertransport am Parkeston Quay, Harwich ein. Er bringt 196 Kinder aus Berlin nach England. Ein Jahr lang, bis zum Kriegsausbruch am 1. September 1939, werden die Transporte von den Nationalsozialisten geduldet. Neben England gehen Kindertransporte auch in die Niederlande, nach Belgien, Frankreich, in die Schweiz und nach Schweden.

 

https://www.spiegel.de/geschichte/70-jahre-reichskristallnacht-startschuss-fuer-den-systematischen-terror-a-948000.html