Archiv

Gründung

Das Gemeindearchiv als eine der Abteilungen der Israelitischen Kultusgemeinde Schwaben-Augsburg wurde mit Beschluss des Gemeindevorstands 2005 gegründet. Zum damaligen Zeitpunkt wurden Bücher, Ordner mit Unterlagen und Einzeldokumente, Kassetten, Photographien u. a. in chaotischen Zuständen in einem der Kellerräume, zum Teil auf Regalen und zum Teil in Kartons auf dem Boden aufbewahrt. Dabei fehlte jegliche Beschreibung dieser Materialien, weder die Anzahl der Ordner geschweige denn deren Inhalt noch die Anzahl der Bücher und ihre Titel waren bekannt.
Ursprünglich war Herr Razoumnyi, Autor des Artikels „Drei jüdische Gemeinden in Augsburg“ für die Leitung des Archivs zuständig. In die Arbeit wurden ehrenamtliche Mitarbeiter involviert, die bei der Neuordnung des Archivs mithelfen wollten. Der Hauptinhalt des Archivs sind zahlreiche interne Dokumente der Gemeinde, die Korrespondenz mit verschiedenen Organisationen, Personalakten sowie Bücher und Zeitschriften. Ein Teil der Bücher wurde von der Vorkriegsgemeinde vererbt. Was die Dokumente angeht, gehören die meisten von ihnen der Nachkriegszeit an, da die Unterlagen der Vorkriegsgemeinde im Frühjahr 1945 von der Gestapo beschlagnahmt wurden.

Computerprogramm „Archiv“

In mehr als 50 Jahren nach dem Krieg hat sich im Archiv einiges an Material angesammelt, dessen Inventur erforderlich war. Für die Arbeit mit ihm wurde von uns im Vorfeld ein Informations- und Suchsystem „Archiv“ entworfen, das sowohl die Erfassung der Archivmaterialien mittels einer elektronischen Kartothek der Einzelobjekte als auch die Suche der benötigten Informationen in dieser Kartothek ermöglicht. In der Computerfachsprache heißt diese elektronische Kartothek Datenbank (DB), die auf Datenträgern in spezieller Art und Weise aufbewahrt wird, die eine schnelle Suche nach den Informationen in der DB mit Schlüsselwörtern ermöglicht. Vor der Gründung des Archivs musste man gewisse Bemühungen investieren und den Inhalt in Ordnung bringen – ihn ordnen und die Informationen klassifizieren aber auch die Regeln für die Arbeit mit Archivmaterialien ausarbeiten.

Um in den Computer die Beschreibung der Dokumente oder die Titel der Bücher, der Zeitschriften, der CDs sowie anderer Objekte einzugeben, benötigte man Menschen, die sich mit dieser anstrengenden Arbeit befassen wollten und natürlich auch Zeit. Dieser Prozess dauert bis heute an, da neue Dokumente vom Sekretariat bzw. anderen Gemeindeabteilungen eingehen.
Das System „Archiv“ ermöglicht es, sowohl einzelne Objekte als auch Gruppen zu erfassen, so dass bei der Suche die Gruppe von zusammenhängenden Dokumenten angezeigt wird. An sich ist die gruppenweise Erfassung fast sinnvoller, da fast immer jedes Thema in der Korrespondenz mehrere Einzeldokumente umfasst (zum Beispiel Frage-Antwort-Klarstellung usw.). Uns erspart diese Vorgehensweise Zeit.

Für die Suchfunktion muss man die Frage richtig formulieren, also die richtigen Worte finden. Das kann ein Datum sein, der Nachname der gesuchten Person (oder zumindest ein Teil des Namens, wenn man sich bei der Schreibweise nicht sicher ist), ein oder mehrere Schlüsselwörter, die Teil der Beschreibung des Dokuments sein können usw. Die Reihenfolge der Suchworte ist irrelevant, man muss nur im Hinterkopf behalten, dass jedes Element eine Beschränkung bei der Programmauswahl der Informationen aus der Vielzahl der Einträge der DB darstellt, d. h. dass der Anstieg der Zahl der Suchbegriffe die Anzahl der gefundenen Dokumente reduziert. Somit hängt die Effektivität der Suche davon ab, wie durchdacht die Frage ist.

Man muss auch beachten, dass dasselbe Thema in verschiedenen Dokumenten unterschiedlich beleuchtet sein kann. Zum Beispiel kann in den Unterlagen betreffend die finanzielle Unterstützung der Gemeindemitglieder sowohl das Wort „Hilfe“ (oder auch Winterhilfe) als auch das Wort Unterstützung oder andere Wörter mit ähnlicher Bedeutung vorkommen. Noch ein Beispiel: in verschiedenen Unterlagen, die mit der Entschädigung der Opfer des nationalsozialistischen Regimes zusammenhängen können Wörter Entschädigung, Wiedergutmachung, Rückerstattung usw. vorkommen. Wenn man eins davon nicht kennt, kann man einige Dokumente „übersehen“. Deshalb muss der Nutzer, der die Suche vornimmt, das Fachvokabular beherrschen, das im betroffenen Zeitraum üblich war.

Das Niveau der Funktionalität des Systems ist bedingt durch die Reihe an Rechten, die vom Administrator der DB einem konkreten Nutzer eingeräumt werden. Nach diesem Prinzip werden Nutzer in drei Kategorien unterteilt: „Administratoren“, „Operateure“ und „Gäste“. Die minimalsten Rechte haben Nutzer der Kategorie „Gast“. Ein solcher Nutzer loggt sich ins System ein ohne Passwort, doch kann er nur nach Informationen suchen ohne diese korrigieren zu können.

Aufgaben

Der hohe Umfang der Arbeit bei der Erstellung der elektronischen DB in den ersten Jahren der Arbeit des Archivs ermöglichte es nicht, eine eingehende Verarbeitung der gesamten Informationen vorzunehmen. Das Hauptziel war damals so viele Informationen wie möglich in der Datenbank zu speichern, damit man Anfragen schneller beantworten kann.
Das Archiv bekommt Anfragen von Privatpersonen, Museen, Gerichtsbehörden. Bis heute gehen Anfragen ein, die die Erbschaft von Personen betreffen, die während der Nazi-Herrschaft umgekommen sind oder unter den Nationalsozialisten gelitten haben. Viele interessieren sich für die Lage und den Zustand von Gräbern der Angehörigen. Solche Anfragen bekommt die Gemeinde während ihrer gesamten Existenz, v. a. von denjenigen, deren Schicksal sich so entwickelt hat, dass sie sich außerhalb ihres Heimatlands befanden und dort Wurzel geschlagen haben. Wie man weiß, wurden die ehemaligen Mitglieder der Gemeinde in der ganzen Welt zerstreut – USA und Großbritannien, Israel, Australien, Südafrika, Lateinamerika, China usw.
Besonders hervorzuheben ist unser Umgang mit Nachkriegsdokumenten. Sie enthalten das Leben von Menschen, die unter Schwierigkeiten ihr Leben nach der Rückkehr aus Vertreibung oder aus Konzentrationslagern meisterten. Diese Menschen hatten kaum die Kraft für Auseinandersetzungen mit dem Staat wegen Entschädigung. Diese Entschädigungen standen im Regelfall auch in keinem Verhältnis zu den erlebten Leiden und den daraus resultierenden Krankheiten. Diese Dokumente sind meistens Einzeldokumente, es fällt uns schwer, ein schlüssiges Bild vom Leben der Einzelpersonen zu bekommen. Doch auch diese Fragmente werden regelmäßig benötigt.

Als die DB sich füllte haben wir unsere Aufmerksamkeit einigen Etappen des Lebens der Nachkriegsgemeinde gewidmet. Dazu gehört die Restaurierung der Synagoge nach dem Krieg, Wechselbeziehungen der Gemeinde mit der JRSO; die gleichzeitige Existenz von zwei Gemeinden auf dem Synagogengelände seit 1945 bis Anfang der 50er Jahre; Schicksal der Synagogenorgel; Wechselbeziehungen der Gemeinde mit städtischen Behörden in Bezug auf Schadensersatz wegen den von den Nationalsozialisten verübten Übergriffen auf die Gesundheit und das Eigentum der Gemeindemitglieder. Diese und viele andere Fragen werden regelmäßig von Archivmitarbeitern in Artikeln beleuchtet, die in der Gemeindezeitung veröffentlicht werden. 2008 wurde durch die Gemeinde auf der Basis der Archivdokumente das Sammelwerk “Beiträge und Quellen zur Geschichte der Jüdischen Gemeinde in Augsburg” veröffentlicht. Demnächst wird ein weiteres Sammelwerk zur Geschichte der jüdischen Gemeinde Augsburg veröffentlicht (Autor beider Sammelwerke ist das Vorstandsmitglied V. Razoumnyi), die Veröffentlichung wird voraussichtlich Ende 2018 erfolgen.

Eine der Hauptaufgaben des Archivs neben der Verwaltung der Objekte in der elektronischen Kartothek ist die Restaurierung von Dokumenten, die mit der Zeit verfallen. Tatsächlich enthalten einige Ordner Dokumente in einem schwer lesbaren Zustand. Zum Beispiel haben sich auf manchen Dokumenten die Druckzeilen auf Vorder- und Rückseite gegenseitig diffundiert, weshalb man den Inhalt des Textes nicht entziffern kann. Die Tendenz zeigt, dass auch andere Dokumente in einigen Jahren sich in diesem Zustand befinden werden. Leider sind es gerade die Dokumente, nach denen die Geschichte geschrieben wird. Deshalb haben wir neben der Eingabe laufender Dokumente in die DB auch ein weiteres Tätigkeitsfeld des Archivs aufgemacht – das Einscannen von alten Dokumenten, solange sie noch lesbar sind. Aktuell sind das Dokumente aus Ende 40er- Anfang 50er Jahre. So verlängern wir das Leben von Archivdokumenten (theoretisch für die Ewigkeit, da elektronische Kopien nicht verfallen). Zuerst waren es jpg-Dateien, die an die Nummer des Ordners gebunden waren. Diese sind leicht auf einem Bildschirm einzusehen, indem man sie nacheinander durchblättert. Aber als die Zahl der gescannten Dokumente mehrere Hunderte erreichte, wurde es klar, dass unter ihnen das gesuchte Dokument mit normaler Durchsicht zu finden schwer ist, trotz der hohen Geschwindigkeit des „Durchblätterns“ auf dem Bildschirm. Irgendwann sind wir zum Schluss gekommen, dass man die gescannten Dateien benennen muss, damit man nach Titelfragmenten suchen kann. Somit haben wir neben der DB der Dokumente, die im System „Archiv“ angelegt ist und aus Beschreibungen der Dateien besteht eine weitere Datenbank erschaffen aus vollständigen Kopien der Dokumente. Dazu kommt noch dass die operativen Funktionen des Systems es ermöglichen, die Größe von auf dem Bildschirm angesehenen Dokumenten zu ändern, weshalb auch schlecht lesbare Details gut einsehbar sind.

Die Aufbewahrung von elektronischen Kopien eines Dokuments ist tatsächlich für ewig möglich, wenn man die Technologie der Aufbewahrung einhält, die regelmäßiges (zum Beispiel alle 10-15 Jahre) Kopieren des Inhalts vom alten Datenträger auf einen neuen vorsieht. Möglicherweise in einem neuen, moderneren Format. Dies wäre aber die Sache der Zukunft, und aktuell bewahren wir die elektronischen Kopien der Dokumente genauso wie die DB „Archiv“ im PC und zur Sicherheit auf einer externen Festplatte auf.
Noch ein Tätigkeitsfeld des Archivs hat sich spontan ergeben, aufgrund von regelmäßigen Anfragen an uns – ist die Schaffung der Datenbank der Lichtbilder der Grabsteine auf dem Friedhof in der Haunstetterstrasse 64. Dies ist auch deshalb wichtig, weil Grabsteine mit der Zeit verfallen und man wenigstens ihren jetzigen Zustand fixieren muss. Dank dieser Arbeit wird niemand in der Zukunft Probleme haben zum Beispiel mit der Restaurierung verschwundener Inschriften, jeder Grabstein wird mühelos zu identifizieren sein, man wird nicht die zahlreichen Listen durchwühlen müssen, die von verschiedenen Abteilungen zu verschiedenen Zeiten erstellt wurden. Wir fotografieren nur bestehende Grabsteine, wobei wir bei Grabsteinen, bei denen die Vorderseite mit dem Namen des Bestatteten mit der Zeit verfallen ist wir auf Informationen von Herrn Jehuda Shenef, Vorsitzenden der JHVA (Jüdisch-historischen Gesellschaft Augsburg) als am meisten zuverlässigen Forscher zurückgreifen. Menschen, die in anderen Städten oder Ländern leben wenden sich an uns für Informationen über konkrete Menschen (meistens Angehörige oder Bekannte), sie sind dankbar für übermittelte Fotografien.
Beginnend mit 2010 fing das Archiv an, verschiedene Veranstaltungen, die in der Gemeinde stattfinden zu fotografieren – zum Beispiel Feierlichkeiten anlässlich Purim oder Chanukka, des Siegestages am 09. Mai, der Verköstigung von Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges, der Gedenkveranstaltungen anlässlich der Reichskristallnacht, verschiedener Feier und Konzerte, die vom Vorstand und von Abteilungen der Gemeinde und manchmal auch von der Stadt organisiert werden. Erst vor kurzem haben wir das 100-jährige Jubiläum der Synagoge gefeiert, in die Gemeinde sind ehemalige Gemeindemitglieder und ihre Nachkommen aus vielen Ländern gekommen. Wir konnten viele feierliche Momente festhalten. Diese Sammlung an Lichtbildern kann man auch in gewisser Weise eine Fotografien-Datenbank nennen, die in Katalogen mit entsprechenden Namen aufbewahrt wird. Die Fotos sind Teil unserer gemeinsamen Geschichte, bestehend aus Geschehnissen und Gesichtern, sehr bedeutsam für künftige Genrationen.

Das Archiv, genauso wie die Redaktion der Zeitschrift „Anzeiger“ bewahren sowohl in Papier- als auch in elektronischer Form (pdf-Dateien) alle Ausgaben der Zeitschrift „Anzeiger“ seit Beginn der Publikationen auf. Wenn jemand die eine oder die andere Ausgabe benötigen sollte, werden wir sie problemlos per Email verschicken können. In den Ausgaben dieser Zeitschrift zu blättern heiß ohne Übertreibung das Leben der modernen Gemeinde kennenzulernen, viele interessante Beiträge zu lesen.

Ein Paar Wörter sollte man über die Bücher verlieren, die von Zeit zu Zeit unser Archiv füllen. Ein Teil davon geht von Vorstand und Sekretariat ein, einige bestellen wir selbst. Das sind Bücher verschiedener Autoren zur Geschichte der Juden in Deutschland und Bayern, zur Geschichte Israels, zum Thema „Katastrophe des europäischen Judentums“; Bücher herausgegeben vom städtischen Archiv und vom Museum der jüdischen Kultur Augsburgs; Bücher des bekannten Historikers Augsburgs Hernot Römer, inklusive die Geschichte der Juden Schwabens, besonders ist das Band “An meine Gemeinde in der Zerstreuung. Die Rundbriefe des Augsburger Rabbiners Ernst Jacob 1941-1949” hervorzuheben, das bis jetzt dem Archiv behilflich ist bei der Suche nach den Mitgliedern der Vorkriegsgemeinde, Gedenkbücher mit den Listen der Opfer der Verfolgung durch die Nationalsozialisten oder Listen der Holocaust-Überlebenden KZ-Häftlingen (SHARIT HA-PLATAN) und viele andere, die für Forscher interessant sind.

Das Archiv hat sich wiederholt an die Gemeindemitglieder gewandt mit der Bitte, wenn möglich Kopien der Familienunterlagen für die Herstellung der Geschichte der letzten Einwanderungswelle zur Verfügung zu stellen. Auch haben wir uns mit den Mitwirkenden bei der Ausarbeitung des Buches des Gedenkens für die im 2. WK getöteten jüdischen Soldaten in Verbindung gesetzt (Israel). Die überlassenen Unterlagen werden auch im Archiv aufbewahrt, leider in geringer Zahl.

Neben den oben aufgezählten Tätigkeiten nimmt das Archiv teil an der Vorbereitung von Mitgliedsausweisen und Dienstausweisen.